Am 22.01.2020 lud die Hamburgische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (HGSP) zu einem Psychiatriepolitischen Impuls für Hamburg in den Wichernsaal des Rauhen Hauses ein.
Geladen waren neben Vertreter(inne)n der Landesverbände der Psychiatrie-Erfahrenen Hamburg e.V. (LPE Hamburg) und dem Angehörigenverband psychisch Kranker Menschen - Landesverband Hamburg e.V. (LaPK), als Impulsreferent Prof. Dr. Arno Deister (Chefarzt Klinik Itzehoe + DGPPN).
Zum Abschluss sollten dann Parteienvertreterinnen der Hamburger Bürgerschaft zu Wort kommen.
Es wurde mit 3 Minuten-Kurzreferate von den oben genannten Verbänden und für die HGSP von Jessica Reichstein begonnen.
Vom LAPK sprach Frau Karin Momsen-Wolf über die unversorgten, schwer psychisch kranken Menschen mit einem hohen bis sehr hohen Hilfebedarf, die weder in der Gesellschaft noch im Hilfesystem einen Platz haben. Oft verweilen diese Menschen monatelang auf den geschlossenen Akutstationen, evt. in entfernt gelegenen, geschlossenen Einrichtungen in Schleswig-Holstein und dem übrigen Bundesgebiet oder landen letztendlich in der Forensik. Frau Momsen-Wolf merkt an, dass gerade für diese Menschengruppe kein Konzept seitens des Hilfesystems/der Politik vorgesehen ist. Die steigende Anzahl an Unterbringungsbeschlüssen und Forensik-Betten zeige sehr deutlich die Entwicklung. Aus dem erhofften Psychiatrie-Plan für die Stadt Hamburg ist gerade mal eine Erhebung des Ist-Zustandes entstanden, ohne weitere Ziele oder Maßnahmen in die Wege zu leiten. Auch das in diesem Bericht erwähnte Krisentelefon ist immer noch nicht in Betrieb genommen worden.
Jurand Dazskowski vom LPE Hamburg ergänzte in seinem Referat, das die Hilfen oftmals unzureichend und mangelhaft sind. Weiterhin Zwang und Gewalt, auch durch medizinisch Fachfremdes Personal wie Sicherheitsdiensten (Anmerkung UKE Vorfall Ostern 2019) nimmt immer mehr zu. Es gebe kaum bis gar keine aufsuchende Behandlung in Hamburg und es wird dringend ein trialogisch aufgebauter, niedrigschwelliger Krisendienst wie z.B. in Bayern benötigt. Weiterhin benötigt die Stadt Hamburg mehr Wohnraum für Menschen mit einer seelischen Einschränkung und einen Psychiatriekoordinator, der nicht bei der Senatskoordination für Inklusion angedockt gehört. Auch die ASP hat viele Hürden und Schwellen und muss ganz klar niedrigschwelliger aufgestellt werden.
Jessica Reichstein von der HGSP stellt fest, dass eine Über und Fehlbelegung in den Wohnheimen und Kliniken vorherrscht und sowas wie Soziotherapien, APP gänzlich fehlt. Ein Zitat von Frau Reichstein „Der Psychiatrie-Plan greift erst, wann das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Sie fordert ebenfalls einen trialogischen Psychiatriekoordinator und eine Fortschreibung des Psychiatrie-Berichtes.
In dem Impulsreferat von Prof. Dr. Arno Deister wurden 3 Thesen beleuchtet:
These 1: Psychiatrie + Gesellschaft: für eine gemeinsame Verantwortung, Anerkennung der psychischen Krankheiten als Volkskrankheiten und 9 Monate Wartezeiten auf einen Therapieplatz in Schleswig Holstein helfen wirklich nicht weiter. Es brauche Lösungen! Abbrüche in der Behandlung kommen immer wieder durch fehlende Beziehungskontinuität. Es solle nicht von den Strukturen her gedacht werden, sondern von den Anforderungen und Bedürfnissen der Menschen.
These 2: Beziehungen müssen therapeutisch gestaltet werden. Es müssen Anreize geschaffen werden für die Menschen und alternative Möglichkeiten. Zusammenarbeit zwischen stationär/ambulant und alternativ aufsuchende Behandlung, statt reine stationäre Bettenpsychiatrie.
These 3: Die Psychiatrie der Zukunft orientiert sich beim Bedarf der Menschen. Die Haltung des Hilfesystems wird immer wichtiger. Zwangsmaßnahmen sind extrem teuer! Vorbeugen ist die günstigere und bessere Alternative. Transparenz und eine Öffentlichkeit wird gebraucht, Autonomie darf kein Sonderfall sein. Sicherstellung der Ressourcen ist eine gesellschaftliche Verantwortung.
Zu guter Letzt kamen die Parteivertreterinnen: CDU ließ sich entschuldigen, die FDP hat sich nicht gemeldet. Angereist waren Vertreterinnen der Regierungskoalition von SDP und Grünen und von der Opposition DIE LINKE.
Was sehr auffällig waren, die beiden Vertreterinnen von der SPD (Sylvia Wowretzko) und den Grünen (Christiane Blömeke) waren nicht wirklich vorbereitet und stellten Ihre Ideen der Psychiatrie-Politik vor. Zusammenfassend haben Sie den hohen Hilfebedarf der Menschen und auch was die fehlenden Plätze für eine geschlossene Unterbringung wahrgenommen.
Anna Rinne (DIE LINKE) war da mit ihren Forderungen sehr viel klarer und ausführlicher. Man merkte sehr deutlich, dass Frau Rinne sich auf den Abend vorbereitet hatte. Ein Teil ihrer Forderungen waren dass es mehr Mitbestimmung geben muss von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, mehr Trialog. Dazu müsse es eine/n Psychiatriekoordinator/in geben, einen trialogischen Psychiatriebeirat, der den Psychiatrieplanungsprozess mitbegleite und der Bürgerschaft und dem Senat dazu Expertise leisten könne, was ihre Fraktion auch bereits in einem Antrag an die Bürgerschaft gefordert hatte im Zuge der Reform des Gleichstellungsgesetzes für Menschen mit Behinderungen. Zudem müsse es mindestens einmal wenn nicht zweimal pro Legislaturperiode einen Psychiatriebericht geben, nicht nur alle 23Jahre mal. Es brauche hauptamtliche Genesungsbegleiter*innen, die mehr zum Einsatz kommen und auch tarifgebunden bezahlt werden.
Das PsychKG müsse umfassend reformiert werden. Der Einsatz von Sicherheitsdiensten bei psychiatrischer Pflege müsse unterbunden werden. Der Einsatz von Kameraüberwachung müssen kritisch geprüft werden ob dieser Personal ersetzen solle und die Persönlichkeitsrechte wahre. Dass die Aufsichtskommission angemeldet überprüfen könne sei zudem problematisch und bedürfe einer Änderung. Zwang und Gewalt wie z. B. Fixierungen müssten auf gesetzlicher Ebene zudem weitmöglichst ausgeschlossen werden, auch darauf müsse das PsychKG kritisch geprüft und ggf. überarbeitet werden. Der Psychiatriebeirat könnte z. B. hierfür einen Vorschlag erarbeiten.
Die Studie von Martin Zinkler und Michael Waibel von 2019 habe in der Heidenheimer Klinik gezeigt, dass mit einem entsprechenden Personalschlüssel Zwangsmaßnahmen komplett vermieden werden könnten (zugriff: http://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-0785-6435). Es solle in der kommenden Legislaturperiode auch für Hamburg geprüft werden, ob dies flächendeckend in den Psychiatrien umgesetzt werden könne.
Auf Ebene der Krankenhausplanung könne man auch politisch aktiv werden und die Stationen kleiner machen, 16-18 Betten maximal. Das entspanne die Situation auf den Akutstationen ungemein. Und es müsse mehr Zeit geben durch mehr Personal um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Die S3 Leitlinie zur Vermeidung von Zwang müsse mehr Einzug in das politische Handeln finden. Um die Überbelegungen und langen Aufenthalte in Psychiatrien präventiv und alternativ umgehen zu können müssten die ambulanten Angebote stark ausgeweitet werden. Es brauche viel mehr Hausbesuche, damit die Menschen, die besonders hohe Unterstützungsbedarfe haben, überhaupt erreicht werden können. Bislang werde nur etwa 30% des Bedarfs dazu abgedeckt. Ein 24-Stunden-Krisendienst sei hierbei auch hilfreich um schnelle Hilfe zu vermitteln, dieser müsse kommen. Darüber hinaus brauche es mehr hochstrukturierten Wohnraum für Menschen mit seelischen Erkrankungen, aber auch generell mehr bezahlbaren Wohnraum für die Menschen in Hamburg. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei zunehmend ein Problem. Ihre Fraktion streite für einen Mieten- und Bodenpreisdeckel und dafür, dass es viel mehr Sozialwohnungen gibt und 50% aller Neubauten Sozialwohnungen seien müssten. Für all das streite DIE LINKE, zudem gab sie an dass ihre Fraktion in der neuen Legislatur dazu Anträge einreichen wolle, denen die anderen Fraktionen sich gerne anschließen könnten. Ihre Fraktion und Partei stehe allen psychiatrie- und gesundheitspolitisch interessierten offen – hier gäbe es mehrere Arbeitsgruppen, die Parteiübergreifend arbeiten.
Sehr deutlich wurde es, als das Podium geöffnet wurde und Fragen aus dem Publikum zugelassen wurden. Thomas Bock machte es mit folgendem Zitat sehr deutlich: „die Hamburger Psychiatrie hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wenn vermehrt aufsuchende Hilfe wie Hometreatment, Open Dialog und eine Recovery-Haltung in den Hilfestrukturen eingeführt wird, braucht es nicht wirklich mehr geschlossene Einrichtungen“
Eine weitere Forderung aus dem Publikum war eine umfassende Reform des HambPsychKG (Psychisch Kranken Gesetz) durch ein trialogisch besetztes Gremium. Insbesondere was den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten betrifft. Der Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten muss unterbunden werden. Dem hatte sich lediglich die Linksfraktion positiv gegenüber gezeigt.
Zumindest die Sprecherin der Grünen sah am Ende die Dringlichkeit eines aufsuchenden Krisendienstes. Es gibt viel zu tun in Hamburgs Psychiatrie, von der Politik wie vom Hilfesystem selber. Die Zeit wird zeigen, ob es nicht nur Wahlversprechen waren, die abgegeben wurden oder ob der dringende Handlungsbedarf rund um die Hamburger Psychiatrie (ambulant wie stationär) wirklich erkannt wurde.
Reiner Ott für den GBPH e.V.
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